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Thailand: Vertreibung aus dem Paradies



Fischerboot Thailand
© Mateo_Pearson - Fotolia
Die Existenz der Seenomaden ist im gleichen Maße bedroht wie ihr Hauptnahrungsmittel, der Fisch. Sie sind die ältesten und interessantesten Ureinwohner Thailands und sollen von Amts wegen umgesiedelt werden.

Es sind verwegene Gestalten, mit denen ich in See steche. Und noch verwegener sieht der schwimmende Untersatz aus – ein uraltes schmales „Langschwanzboot“, ein Kahn eher, als ein hochseetüchtiges Boot. Der Sonnenaufgang wirft einen Bronzeschimmer auf die dunkel gegerbte Haut meiner Begleiter und lässt ihr struppiges Haar rötlich leuchten. Auf den ersten Blick erinnern sie an Piraten, die auf Beutezug aus sind. Tatsächlich versetzten ihre Urahnen als Seeräuber die Küsten der Andamansee und des südchinesischen Meeres in Angst und Schrecken. Heute jedoch sind es friedliebende Fischer, freundliche Menschen, deren wahres Element das Meer ist.

Yun, der ältere der beiden, macht die Leine am Bug los und Nit wendet das lange hölzerne Ungetüm geschickt um die eigene Achse. Der tuckernde Zweitakter ist beweglich auf dem Heck befestigt und durch eine zwei Meter lange Stange mit der Schiffsschraube verbunden. Eine geniale Konstruktion, denn so dient der schwenkbare Motor als Antrieb und Steuerruder in einem. Yun und Nit nehmen mich auf Fischfang mit – eine seltene Ausnahme, denn Fremde an Bord könnten die Meeresgeister ungnädig stimmen und natürlich geben die Seenomaden auch höchst ungern ihre geheimen Fischgründe preis. Wir legen ab vom Dorf der Seezigeuner (Seagypsys) von Rawai, ganz am Südzipfel der Urlaubsinsel Phuket gelegen. Die Bezeichnung „Seezigeuner“ ist eigentlich falsch und klingt in den Ohren des Volkes der Chao Leh wie eine Beleidigung. „Seenomaden“ wäre zutreffender, aber nur noch eine Handvoll Familien auf den, im Norden Phukets vorgelagerten, Inseln führen ein Nomadendasein und ziehen auf ihren Booten von Insel zu Insel.

Die Chao Leh (wörtlich „Meeresbewohner“) sind die ältesten und faszinierendsten Ureinwohner Thailands und sie unterteilen sich in 3 ethnische Gruppen – die Moken, die Moklen und die Urak Lawoi. Jeder der drei Volksstämme hat eine eigene Sprache entwickelt und rein äußerlich unterscheiden sie sich von den Thais durch die sehr dunkle Haut und eine rötliche Haarfarbe. Heute existieren drei Siedlungen der Chao Leh auf Phuket. Die älteste ist das Gypsy-Dorf in Rawai, ein weiteres Dorf liegt ca. 8 km nördlich von Phuket Stadt. Eine dritte Siedlung besteht auf der Insel Koh Siray, die über eine Brücke mit Phuket Town verbunden ist.

Erstaunlich ruhig gleitet das Boot von Yun und Nit durch die Wellen. Wir steuern die Insel Koh Bon an, ein winziges Eiland im türkisgrünen Meer, etwa 2 Seemeilen von Rawai entfernt. Yun zeigt mir seine Hände. Schwielig und eisenhart sind sie und er deutet auf einige dicke Knoten an den Fingergelenken. Das sei das Werk eines kleinen Korallenfisches erklärt er mir. Der Winzling heißt Bla Ki Dang (Geldfisch) dessen Rücken- und Bauchflossen mit nadelspitzen Giftstacheln bewehrt sind. Ritzt man sich damit die Haut, so kann das schon mal tödlich enden, zumindest erzeugt das Gift fast unerträgliche Schmerzen und Knochenverformungen. Seitdem taucht Yun nur noch mit Handschuhen versichert er mir. Der Fisch ist eine begehrte Delikatesse und vor allem Japaner und Koreaner zahlen Höchstpreise für den Giftstachler. Vermutlich deshalb wird er Geldfisch genannt. Yun ist zuversichtlich, dass ihm auch heute einige von ihnen ins Netz gehen werden.
Nit steuert gelassen und wie von GPS gelenkt durch das Riff und die bizarr aufragenden Klippen. Er stellt den Motor ab und geräuschlos gleitet der Kiel über eine smaragdgrüne Lagune. Das Wasser ist derart kristallklar, dass man auch noch in 7 Meter Tiefe jede Muschel mit bloßem Auge erkennen kann. Yun wirft den Anker aus, ein hakenförmig gebogenes Stück Baustahl. Nun setzen beide Tauchermasken auf, nehmen ein kreisrundes Netz zur Hand, das ringsherum mit kleinen Bleigewichten beschwert ist und springen über Bord. Der schlanke Kahn schwankt und schlingert bedenklich.

Die Fangmethode ist denkbar einfach. Das Netz wird über einen aufgestöberten Schwarm von Korallenfischen geworfen und senkt sich dank der Bleigewichte rasant auf den Grund. Mit Schuppen, Flossen und Stacheln verheddert sich die Beute in den feinen Maschen. An einer Leine wird das Netz ruckartig eingeholt. Yun zieht sich als erster schwungvoll über den niedrigen Bootsrumpf. In seinem Netz zappelt es in allen Regenbogenfarben. Vorsichtig löst er die Fische aus den Maschen. Die kleineren Exemplare werden wieder in die Freiheit entlassen. Die Seenomaden sind sehr darauf bedacht, ihre Fischbestände nicht zu gefährden. Auch Fische, die kurz vor dem Laichen stehen, werden wieder ins Wasser geworfen. Aber das ist eben nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Denn allmählich wird den Chao Leh die Lebensgrundlage durch skrupellose Fischereiflotten entzogen, die mit ihren Trawlern in die Fanggründe der Seenomaden eindringen und mit kilometerlangen Schleppnetzen die küstennahen Gebiete leerfischen. Auch das Dynamitfischen, das bei Höchststrafen in Thailand untersagt ist, wird von einigen gewissenlosen Thailändern immer noch betrieben. Und auch der illegale Fang lebender Korallenfische für die Aquarien dieser Welt nimmt immer drastischere Formen an.

Leben vom Fischfang

Die Hauptlebensgrundlage ist für die Seenomaden der Fischfang, gefolgt von Perlentauchen und dem Sammeln von Schwalbennestern, die als Basis für eine Suppendelikatesse verwendet werden. Da jedoch die Fischbestände akut gefährdet sind, bleibt den Chao Leh nichts anders übrig als sich mit anderen, artfremden Tätigkeiten „über Wasser“ zu halten. So fertigen sie aus Muschel- und Schneckenschalen allerlei Tand und Kitsch an, um diese an Touristen zu verkaufen, die scharenweise in die Chao Leh-Dörfer gekarrt werden. Die Chao Leh gehören zu den beliebtesten Fotomotiven in Thailand – malerische bunte Wellblechhütten; nackte braune Kleinkinder spielen im Schmutz; die Frauen bieten auf klapprigen Holzgestellen farbenprächtige Fische zum Verkauf; muskulöse Männer ziehen die Longtailboote an Land … es sieht alles so herrlich pittoresk aus. Die Fotoapparate klicken um die Wette. Und dabei ahnen die wenigsten Touristen, wen oder was sie da in die Chips ihrer Kameras speichern.

Die Chao Leh leben, sieht man einmal davon ab, dass sie immer mehr in die Armut getrieben werden, eigentlich in einer paradiesischen Gesellschaft, die sehr matriarchalisch geprägt ist. Kriminalität ist völlig unbekannt. Frauen und Männer leben und arbeiten gleichberechtigt und sie erwirtschaften nur soviel, was sie zum täglichen Leben benötigen. Der Tauschhandel ist immer noch gang und gäbe. Geld wird nur für den Kauf von Benzin, Tabak, Reis und Kleidung ausgegeben. Gier, Neid Missgunst oder Gewinnstreben sind diesen Menschen völlig fremd. Ihr Glaube ist seit tausenden von Jahren der Animismus und daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Welt ist beseelt von Naturgeistern und den Geistern der Ahnen. Schamanen nehmen mit der Geisterwelt Kontakt auf, sie sind zugleich Wahrsager und fungieren als Ärzte und Heiler. Während des Ne-en Lobong-festes wird über drei Tage gefastet, getanzt, gesungen und zum Abschluss ein kleines Boot, ein sogenanntes Labang zu Wasser gelassen, das alles Böse aufs Meer hinaustragen soll. Und pfiffig wie die Chao Lehs sind, werden in Ufernähe Holzkreuze in den Meeresgrund gesteckt, um das Labang an einer unfreiwilligen Rückkehr zu hindern. Man weiß ja nie, ob sich Wind und Strömung entschließen sollten, das Schiffchen mit den bösen Kräften an Bord, zu einer Umkehr zu bewegen. Ein weiterer Höhepunkt des Jahres ist das Fest der Meeresschildkröte. Die Chao Leh verehren Meeresschildkröten als Schwestern der Menschen.

Und noch eine Eigenschaft macht diese Menschen weltweit einmalig: Das unerhörte Wissen über das Meer, über Wind, Gezeitenströme, und das Verhalten der Tiere in ihrem Lebensraum. Dieses Wissen ist so einzigartig, dass die Chao Leh als Teil des Weltkulturerbes geführt werden. Während der Tsunamikatastrophe im Jahr 2004 gab es unter Seenomaden nahezu keine Opfer. Die Ureinwohner erkannten das Zurückweichen des Meeres vor der Flutwelle, das Verhalten der Vögel und anderer Tiere als Warnzeichen und flüchteten rechtzeitig auf nahegelegene Hügel und Kokospalmen. Diese sogenannten „Primitiven“ haben ganz eindeutig einen Wissensvorsprung vor der modernen Welt – nämlich ein tiefes Verständnis für die Natur und ihre Phänomene.

Umso schmerzlicher ist die Tatsache, in welchem Maße dieses Volk entrechtet wird. Die Chao Leh haben einen Anteil von ca. 4% an der Gesamtbevölkerung Phukets, sie bilden also eine Minderheit. Und wie fast überall auf dieser Welt springt man mit Minderheiten nicht sonderlich zimperlich um. So soll das Seenomadendorf auf der Insel Koh Siray einem Hafenausbau geopfert werden. Die Dorfbewohner sollen zwangsweise in seelenlose Appartementblöcke umgesiedelt werden. Das Dorf in Rawai soll ebenfalls skrupellosen Geschäftsinteressen weichen. Hier steht ein buntes Sammelsurium aus Wellblechhütten, kleinen Imbissbuden und Verkaufsständen, in dem auf engstem Raum etwa 330 Familien leben. Der Staat hat den Chao Lehs das Grundstück zur Verfügung gestellt, allerdings ohne ihnen auch die Grundstücksrechte zu übertragen. Ebenso fehlen fließendes Wasser und eine Kanalisation. Geschäftstüchtige Thais klagen nun auch hier die Grundstücke ein. Die Chao Lehs kämpfen nun zwar für ihre Rechte und um den Erhalt ihrer Traditionen und ihrer Kultur. Aber die Aussichten auf Erfolg stehen sehr schlecht, um nicht zu sagen chancenlos.

In Yuns Netz zappeln neben einigen bunten Korallenfischen drei bis vier der gefährlichen, blass gelben Geldfische. Yun strahlt. Er will mir die teuren Delikatessen schenken. Ich lehne dankend ab, denn für ihn bedeuten diese wenigen Fischchen eine ganze Tankfüllung für den Bootsmotor und ein Päckchen Tabak. Nit holt den Anker ein, stotternd springt der Motor an und sanft gleitet das kleine Langschwanzboot aus der Lagune. Wir nehmen wieder Kurs auf Rawai.

Auf die Frage, was denn nun mit ihm und seinem Volk geschieht, sollten sie aus ihrem kleinen Paradies vertrieben werden, schweigt er lange und dreht sich eine seiner gelbbraunen Zigaretten.

„Ja dann …“, unterbricht er sein Schweigen, „ja dann werden wir vielleicht wieder Boote bauen und wie unsere Ahnen leben. Als Nomaden auf dem Meer.“

© Walter H. Spohn (2009)


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